Was geschah am 29.03. im Jahr ...

1946

31. Sitzung der Alliierten Kommandantur. Die Kommandanten genehmigen mit BK/O (46) 145 eine Erweiterung des Postverkehrs zwischen Berlin und der sowjetischen Besatzungszone auf Päckchen bis zu zwei Kilogramm Gewicht, Pakete bis zu fünf Kilogramm Gewicht sowie Wertbriefe bis zu einem Kilogramm Gewicht und tausend RM Wertangabe.

Die Kommandanten ordnen auf Ersuchen des Hauptamts für Arbeit des Magistrats mit BK/O (46) 147 die Errichtung einer Arbeitsinspektion beim Magistrat an. Ihre Aufgabe ist die Kontrolle über Sicherheitsmaßnahmen, Arbeitszeit, Einhaltung der Gesundheitsvorschriften, Beachtung der moralischen Grundsätze in den Betrieben, Kontrolle der Kinder- und Frauenarbeit und der Betriebsordnungen.

Die Kommandanten heben eine Reihe von Geschäftsbeschränkungen der Berliner Volksbank auf und gestatten ihr, Kredite bis zur Höhe von 10 000 RM zu gewähren.

Mehrere bereits ergangene Befehle, unter anderem über die Rückführung evakuierter Berliner Schüler aus Bayern und über Ernennung und Entlassung der leitenden Magistratsangestellten werden von den Kommandanten gebilligt.

Die sowjetische Zentralkommandantur beantwortet ein am gleichen Tage eingegangenes Schreiben des Sekretärs des Bezirksvorstandes der Berliner SPD, Erich Lübbe, in dem um Genehmigung der für den 31. März vorgesehenen Urabstimmung im sowjetischen Sektor gebeten wird. In ihrem Antwortschreiben stellt die Zentralkommandantur fest, daß in der SPD keine Einmütigkeit über die Urabstimmung bestehe, sich im sowjetischen Sektor auch noch keine SPD-Kreisorganisation wegen der Urabstimmung an die sowjetischen Bezirkskommandanten gewandt habe und es deshalb notwendig sei, sich mit der Meinung der Kreisorganisationen bekanntzumachen. Der Bezirksvorstand der Berliner SPD wird daher um die Beantwortung mehrerer Fragen über die bisher geleistete Vorbereitung der Urabstimmung gebeten.
Der amerikanische Militärgouverneur in Berlin, Generalmajor Barker, teilt mit, die Ereignisse der letzten Wochen deuteten darauf hin, daß mit Versuchen gerechnet werden müsse, eine freie und vollständige Meinungsäußerung der SPD-Mitglieder in der Urabstimmung zu verhindern. Er gibt gleichzeitig bekannt, daß im amerikanischen Sektor alle Maßnahmen getroffen würden, um eine freie, demokratische Urabstimmung der SPD-Mitglieder über die Frage der Verschmelzung mit der KPD zu garantieren.

1947

Die Delegiertenkonferenz des FDGB Groß-Berlin im Deutschen Theater wählt zum Abschluß der Gewerkschaftswahlen den neuen Vorstand.
Erster Vorsitzender wird Hermann Schlimme (SED). Stellvertretende Vorsitzende werden Bernhard Göring (SED), Roman Chwalek (SED) und Marta Arendsee (SED).
Von den 45 Mitgliedern des Gesamtvorstandes gehören 5 zur unabhängigen Gewerkschaftsopposition (UGO) sowie 2 zur CDU.
Den Vorstandswahlen waren am ersten Tag der Konferenz Einwirkungsversuche von einigen der SED angehörenden Delegierten auf die Delegierten der UGO vorausgegangen. Sie wurden von Dr. Otto Suhr (SPD) in scharfen Auseinandersetzungen mit dem Vorstandsmitglied der SED, Walter Ulbricht, zurückgewiesen, während Ernst Lemmer (CDU) unter Forderung nach Toleranz zwischen den auseinanderfallenden Gewerkschaftsrichtungen zu vermitteln bestrebt war.
Die Delegiertenwahlen zum FDGB ergaben:
Opposition: Gesamt: 1250 Westsektoren: 850 = 37 %, Ostsektor: 400 = 21 %
Parteilos: Gesamt: 1049, Westsektoren: 632 = 28 %, Ostsektor: 417 = 22 %
SED: Gesamt: 1951, Westsektoren: 814 = 35 %, Ostsektor: 1137 = 57 %
Westsektoren: 2296 Delegierte, Ostsektor: 1954 Delegierte
Das Wahlresultat als Ganzes zeigt zwar die Erhaltung der Vormachtstellung des kommunistischen FDGB, dem das komplizierte Wahlsystem und im sowjetischen Sektor die sowjetische Besatzungsmacht zu Hilfe kamen, aber auch, vor allem in den Westsektoren, weitgehend positive Ergebnisse für die Unabhängige Gewerkschaftsopposition als Vorkämpfer einer demokratischen freiheitlichen Gewerkschaftsbewegung.

1949

Der Oberste Chef der Sowjetischen Militärverwaltung und Oberbefehlshaber der sowjetischen Truppen in Deutschland, Marschall Wassilij Sokolowski, wird zum ersten stellvertretenden Minister für die bewaffneten Streitkräfte der Sowjetunion ernannt. Gleichzeitig beruft der Ministerrat der Sowjetunion Armeegeneral Wassilij I. Tschuikow zum Nachfolger von Marschall Sokolowski.

Auf einer gemeinsamen Sitzung des Haupt- und Wirtschaftspolitischen Ausschusses der Stadtverordnetenversammlung wird die Auseinandersetzung über die Form der Blockadehilfe für die Berliner Wirtschaft beendet. Die Blockadehilfe wird als zinsloses, unbefristetes Darlehen einmalig oder laufend gewährt, wenn entweder der als Blockadehilfe gewährte Betrag die tatsächlich entstehenden Blockade-Mehrkosten nicht übersteigt, oder aber eine Rückzahlung die weitere Entwicklung des Betriebes durch Minderung seiner Konkurrenz- oder Kreditfähigkeit nachteilig beeinflussen könnte.

Die Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) für die sowjetische Besatzungszone beschließt in einer außerordentlichen Sitzung, in ihren Hauptverwaltungen besondere Dienststellen für jeden Industriezweig einzurichten und bereits bestehende auszubauen, die eingehende Arbeitsstudien durchführen und neue Arbeitsnormen ermitteln sollen. Gleichzeitig werden besondere Arbeitsausschüsse für technische Arbeitsnormen (TAN) gebildet, die den neuen Dienststellen beratend beigeordnet werden.
Die DWK ordnet die Ausgabe monatlicher Zusatzrationen von 5000 Gramm Kartoffeln, 1500 Gramm Mehl, 500 Gramm Nährmittel, 100 Gramm Fett, 300 Gramm Zucker und 250 Gramm Waschpulver in den Betrieben an, die bereits auf Grund des Befehls Nr. 234 der Sowjetischen Militärverwaltung eine zusätzliche Verpflegung erhalten (vgl. Schriftenr. Bln. Zeitgesch., Bd. 2, 9.10.1947). Nach den Richtlinien sollen die Zusatzkarten, die in Konsumfilialen des sowjetischen Sektors eingelöst werden können, nur an Arbeiter mit "guter Arbeitsleistung" ausgegeben werden. "Bummelanten" und Arbeiter, die aus "eigenem Verschulden" ihr Produktionssoll nicht erfüllen, dürfen die Zuweisungen nicht erhalten.

Im Kasino der Julius-Pintsch AG im Bezirk Friedrichshain, die jetzt ein sogenannter Volkseigener Betrieb (VEB) ist, wird die Kammer der Technik für den sowjetischen Sektor gegründet (vgl. Schriftenr. Bln. Zeitgesch., Bd. 1, 2. Aufl., 2.7.1946). Der Präsident der Kammer, Professor Heinrich Franck von der Technischen Universität, erläutert die Aufgaben der Kammer im Rahmen des Zweijahresplanes der sowjetischen Besatzungszone.

In einer Betriebsräte- und Funktionärkonferenz der UGO fordern die Delegierten in einer einstimmig angenommenen Entschließung, Berlin in den Marshall-Plan mit einzubeziehen und Maßnahmen zu treffen, um den Absatz und die Produktion der Berliner gewerblichen Wirtschaft zu sichern und ihre Konkurrenzfähigkeit zu erhöhen.
Stadtverordnetenvorsteher Dr. Otto Suhr erklärt im Gegensatz dazu, die unmittelbare ERP-Hilfe für Berlin beschwöre die Gefahr herauf, daß Berlin nicht in den staatlichen Neuaufbau Westdeutschlands einbezogen werde. Ferner fordert Dr. Suhr, die Einfuhr von Fertigwaren und minderwertigen Rohstoffen sowie die Verlegung von Betrieben und Kapital nach dem Westen zu unterbinden.

1950

Premiere der Komödie von Mary Chase "Mein Name ist Hase" in der Übersetzung von Alfred Polgar im Renaissance-Theater. Die Regie führt Heinz Hilpert. In den Hauptrollen spielen Viktor de Kowa, Käthe Haack, Alexander Engel, Karl John und Else Reval.

1951

Der amerikanische und der britische Stadtkommandant, General Mathewson und General Bourne, protestieren beim Berliner Vertreter der SKK, S. A. Dengin, gegen den mutwilligen Übergriff von Volkspolizisten gegen vier amerikanische Touristenbusse am Potsdamer Platz.
Am Abend wirft Dengin dem amerikanischen Stadtkommandanten in einem Schreiben vor, amerikanische Militärpolizisten hätten am Potsdamer Platz "Rowdys" unterstützt. "Er fordert Generalmajor Mathewson auf, Maßnahmen zu ergreifen, um ähnliche "Handlungen amerikanischer Militärpersonen" zu unterbinden.

9. (Außerordentliche) Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin.
Nach längerer Debatte überweist das Parlament die Anträge der CDU und FDP zur Abänderung der Sozialversicherung an den zuständigen Ausschuß. Beide Parteien betonen noch einmal, daß ihre Anträge der Angleichung der Berliner Sozialversicherung an die Westdeutschlands dienen sollen. Dagegen beharrt die SPD auf ihrer Überzeugung, daß bei Annahme dieser Anträge eine Senkung des Leistungsniveaus der VAB einträte, die in erster Linie die Kleinrentner und Lohnempfänger treffen würde.

Der Magistrat des sowjetischen Sektors erklärt auf seiner Sitzung unter Vorsitz von Bürgermeister Dr. Schwarz die Baustellen in der Stalinallee zu "Aufbaugebieten" (vgl. Schriftenr. Bln. Zeitgesch., Bd. 4, 2. Hlbd., Dok. Nr. 1063 f., S. 1877 ff.). Er stimmt ferner einem Plan der Abteilung für Aufbau über die Schaffung von Grün- und Sportanlagen im Jahre 1951 zu, der für das laufende Haushaltsjahr Ausgaben in Höhe von rund 11 Millionen DM vorsieht. Aus diesen Mitteln sollen bereits bestehende Grünanlagen wiederhergestellt und provisorische Grünanlagen an enttrümmerten Plätzen geschaffen werden, auf denen nicht unmittelbar Neubauten geplant sind.
Der Magistrat beschließt weiter - entsprechend der SBZ-Verordnung vom 25. Januar 1951 - eine Verordnung über die Rückgabe der Personalausweise der "DDR" bei der Umsiedlung nach Westdeutschland oder West-Berlin. Danach müssen sich die Personen, die umsiedeln, bei den zuständigen Polizeirevieren abmelden und den Personalausweis zurückgeben, wofür ihnen eine Abmeldebescheinigung erteilt wird.

1952

Der Magistrat des sowjetischen Sektors übernimmt eine Verordnung der Regierung der SBZ vom 27. März über die weitere Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung, mit der die Preise für einzelne Textilien in der staatlichen Handelsorganisation (HO), in der Konsumgenossenschaft sowie im privaten Einzelhandel um 36 Prozent gesenkt werden.

Mit einer weiteren Verordnung führt der Magistrat die seit dem 6. September 1950 aufgehobene Rationierung der Kartoffeln wieder ein. Jeder Verbraucher erhält auf Sonderabschnitte seiner Lebensmittelkarte pro Monat 12 kg Kartoffeln.

85 Mitglieder der kommunistischen FDJ, die sich in den Bezirken Neukölln, Kreuzberg, Tiergarten und Wedding an Propagandaaktionen gegen die Tätigkeit der UN-Deutschlandkommission beteiligen, werden von der Polizei vorübergehend festgenommen.

1953

Die sowjetische Luftfahrtgesellschaft Aeroflot gibt die Einrichtung einer ständigen Flugverbindung zwischen Moskau und dem Ost-Berliner Flughafen Schönefeld bekannt. Die Strecke wird sechsmal wöchentlich beflogen; der Preis für den Hin- und Rückflug beträgt 1180 DM (Ost).

1954

27. (Ordentliche) Sitzung des Senats von Berlin.
Der Senat beauftragt Innensenator Fischer, die in den Bezirken recht unterschiedliche Praxis bei der Erteilung oder Ablehnung von Zuzugsgenehmigungen zu überprüfen, die Bezirksbürgermeister zu verpflichten, alle benötigten Unterlagen einzureichen und die erforderlichen Auskünfte zu erteilen. So hatte sich z. B. Kreuzbergs Bezirksbürgermeister Kressmann mit der Begründung verfassungsrechtlicher Bedenken geweigert, dem Regierenden Bürgermeister und dem zuständigen Fachsenator einen Bericht über die Erteilung der Zuzugsgenehmigung für den früheren Volkskammerabgeordneten Julius Meyer zu erstatten.

Der Senat erläßt eine "Allgemeine Anweisung über die Beflaggung öffentlicher Gebäude", nach der alle Dienststellen des Landes Berlin sowie die ihm unterstehenden öffentlich-rechtlichen Einrichtungen an den gesetzlichen Feiertagen ohne besondere Anordnung zu flaggen haben. In allen übrigen Fällen erfolgen Anweisungen des Senats. Zur Beflaggung sind die Bundes- und rechts daneben die Berliner Landesflagge zu setzen. Mit Zustimmung des Innensenators können aus besonderem Anlaß daneben auch noch andere Flaggen gezeigt werden. - Der Senat sieht sich zu dieser Maßnahme veranlaßt, weil Bezirksbürgermeister Kressmann von Kreuzberg anläßlich eines Besuches des SPD-Vorsitzenden und Oppositionsführers im Bundestag, Erich Ollenhauer, im Januar 1954 eigenmächtig die Beflaggung in seinem Bezirk angeordnet hatte.

Der Senat nimmt Kenntnis von einer Stellungnahme des Senators für Verkehr und Betriebe, Ullmann, zu den Vorschlägen der westlichen Hohen Kommissare und der Stadtkommandanten über Erleichterungen im Interzonenverkehr und ergänzenden Erklärungen von Finanzsenator Dr. Haas und Wirtschaftssenator Professor Eich. Einleitend stellt Senator Ullmann fest, daß im Interzonenstraßenverkehr die vier Strecken nach Hamburg über Horst/Lauenburg von 14,71, nach Hannover über Marienborn/Helmstedt von 71,8, nach Frankfurt am Main über Wartha/Herleshausen von 0,38 und nach München über Töpen/Juchhöh von 13,06 Prozent der Kraftfahrzeuge im Interzonenverkehr benutzt werden. Angesichts der Tatsache, daß 1953 allein 4,1 Millionen DM (West) von westdeutschen und West-Berliner Kraftfahrzeugen an Straßenbenutzungsgebühren bezahlt werden mußten, gibt er zu bedenken, ob nicht die in der Sowjetzone gelegenen Strecken der Autobahnen in einem dem Interzonenverkehr entsprechenden Umfange von der Bundesrepublik unter Fortfall der Benutzungsgebühr unterhalten werden könnten. Auch sollte "der Westen" noch einmal seine Hilfe und die Übernahme der Kosten anbieten für den Wiederaufbau der zerstörten Elbe-Brücke von Magdeburg, mit deren Fertigstellung nicht vor Ende 1955 gerechnet werden könne, und den südlichen Teil der die Zonengrenze bildenden Saale-Brücke bei Hirschberg, um die unbequeme Umleitung über Töpen/Juchhöh auf der Fahrt nach München überflüssig zu machen.
Für den Eisenbahnverkehr hält Senator Ullmann die zur Zeit täglich fahrenden 13 Güterzugpaare zwar für ausreichend. Da sie aber ausschließlich über Marienborn/Helmstedt laufen, wäre es zweckmäßiger, sie den Bedürfnissen entsprechend daneben auch auf die Grenzübergänge Büchen/Schwanheide, Vorsfelde/ Oebisfelde, Bebra/Gerstungen und Ludwigstadt/Probstzella zu verteilen. Erwünscht wäre im Personenverkehr auch die Einrichtung weiterer D-Zug-Paare nach Frankfurt/Main und München. Die gegenwärtigen Verhandlungen zwischen den beiden deutschen Eisenbahnverwaltungen über die von der Bundesbahn gewünschte Einrichtung eines Schnelltriebwagenzuges Berlin-Hannover-Bonn und über die von der Reichsbahn angestrebte Verlängerung der bestehenden Verbindung München-Berlin über Saßnitz nach Stockholm sollten bald beendet, der bisher an der Eigentumsfrage gescheiterte Einsatz von Speise- und Schlafwagen (Mitropa/Reichsbahn - DSG/Bundesbahn) ermöglicht sowie eine Verkürzung der Fahrzeiten angestrebt werden.
Schließlich ließe sich auch eine Verbesserung der Verkehrssituation Berlins erzielen, wenn neben den Fluggesellschaften der Besatzungsmächte auch denen anderer Staaten der Anflug Berlins gestattet würde, denn ein freier Wettbewerb zwischen ihnen könnte für die Stadt nur von Vorteil sein.
Hinsichtlich des Personenverkehrs zwischen Berlin und der sowjetischen Zone wünscht der Senator die Abschaffung aller Formalitäten, im Verkehr zwischen Berlin und dem Bundesgebiet die Aufhebung aller Kontrollpunkte, Wegfall der Warenbegleitscheine und aller sonstigen den Warenverkehr regelnden Dokumente. Dazu sei es notwendig, auf das Embargo gegenüber "dem Osten" zu verzichten, da es bei der augenblicklichen Entwicklung und dem in der ganzen Welt bestehenden Wunsch nach Ausdehnung des Handels mit den Ostblock-Staaten praktisch an Bedeutung verloren habe und doch umgangen werde. - Wie die beiden Senatoren Dr. Haas und Professor Eich hält auch Senator Ullmann die Gefahr eines fühlbaren "Ost-Dumpings" für zahlreiche West-Berliner Einzelhandels- und Handwerksbetriebe in gewissem Umfang für gegeben, doch dürfte diese auch nicht überschätzt werden, da auch "der Osten" dahin streben werde, für seine Waren einen anständigen Preis zu bekommen und der Abfluß von Rohstoffen und Halbfertigwaren aus dem Westen bei einem freien Verkehr automatisch durch den Preis verhindert würde.
Ebenso wie Volksbildungssenator Professor Tiburtius erhebt auch Senator Ullmann grundsätzlich keinerlei Bedenken gegen die freie Verbreitung von Druckerzeugnissen. Der Einwand, daß mit der Post geschicktes kommunistisches Propagandamaterial die politische Haltung von West-Berlinern und Westdeutschen beeinflussen könnte, hält er nicht für stichhaltig, da insbesondere die West-Berliner aus eigener Erfahrung die Methoden des Kommunismus so gut kennen, daß sie gegen seine Propaganda immun seien.
Im Gegensatz zu der Auffassung mancher zuständigen Stellen im Bundesgebiet, daß Deutsche nur im Beisein der alliierten Hohen Kommissare oder der Berliner Stadtkommandanten miteinander verhandeln dürften, vertritt Senator Ullmann den Standpunkt, daß, wenn ernsthafte Gespräche über Verkehrserleichterungen geführt werden sollen, auch in Kauf genommen werden müsse, ohne Aufsicht von Ausländern miteinander zu sprechen. Die tatsächliche Lage in Berlin sei zudem doch derzeit so, daß entweder die Treuhandstelle für den Interzonenhandel verhandelt oder auch außerhalb der Treuhandstelle mit sowjetzonalen Beauftragen über irgendwelche Probleme Gespräche geführt werden.

Nach einem Bericht des Regierenden Bürgermeisters Dr. Schreiber über seine Gespräche mit der Bundesregierung billigt der Senat sein Fernschreiben an Bundesfinanzminister Dr. Schäffer, worin er sich trotz erheblicher Bedenken zur Annahme des von ihm unterbreiteten Angebots über die Finanzhilfe für Berlin bereit erklärt. Dabei setze er aber voraus, daß unter die finanziellen Streitpunkte der Vergangenheit wirklich ein Strich gemacht und der Bund nun keinerlei Forderungen auf Grund der Verwaltungsvereinbarung (vgl. Schriftenr. Bln. Zeitgesch., Bd. 4, 2. Hlbd., Dok. Nr. 1171, S. 2124 f.) und der Kosten der Bevorratung Berlins mehr stelle. Aus dringenden politischen und wirtschaftlichen Gründen, die von allen maßgebenden Berliner Parteien einmütig anerkannt würden, müsse er mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen, daß diese Zustimmung des Senats in keiner Weise die auch von Bundeskanzler Dr. Adenauer für Berlin zugesagten Steuererleichterungen berühre, auf die er später noch zurückkommen werde.

Der Leiter der Israel-Mission in der Bundesrepublik, Dr. Shinnar, besucht den Regierenden Bürgermeister Dr. Schreiber im Rathaus Schöneberg und trägt sich in das Goldene Buch der Stadt ein. Dr. Shinnar betont dabei, daß im Rahmen des Wiedergutmachungsabkommens zwischen Israel und der Bundesrepublik 30 Prozent der Aufträge nach Berlin vergeben würden, um der Stadt in ihrem Kampf um die Erhaltung ihrer Freiheit zu helfen. Die freundschaftlichen Gefühle gegenüber Berlin seien in Israel deutlich sichtbar, zumal es auch ein schwieriges Aufbauwerk trotz außerordentlicher Hemmnisse zu vollbringen habe.

1955

Der Regierende Bürgermeister Prof. Suhr und Finanzsenator Dr. Haas empfangen den Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, Dr. Nahum Goldmann, zur Erörterung von Fragen der Wiedergutmachung.

Der Mitbegründer der ehemaligen NSDAP, spätere Führer der "Schwarzen Front" und Hitler-Gegner Otto Strasser versucht in Berlin, Pressekonferenzen abzuhalten. Da alle Lokalinhaber sich weigern, ihm Räume dafür zu überlassen, versucht Strasser, auf offener Straße mit Journalisten zu diskutieren. Als die Polizei aber "wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit" derartige Zusammenkünfte auflöst, verläßt Strasser Berlin wieder auf dem Luftwege.

1958

Landesdelegiertenkonferenz der Jungen Union im Rathaus Spandau.
Die Delegierten wählen mit 59 Stimmen Egon Hartung zum Vorsitzenden der Jungen Union Berlin; der bisherige Vorsitzende Karl-Heinz Schmitz unterliegt mit 47 Stimmen.
Im Mittelpunkt der Tagung stehen jedoch die Referate von Bürgermeister Amrehn und dem Wahlkampfleiter der CDU, Schönebergs Bezirksbürgermeister Wolff, zum bevorstehenden Berliner Wahlkampf. Während Amrehn die CDU, die als einzige Partei in Berlin seit 1945 ununterbrochen in der Verantwortung stehe, dazu auffordert, alle Kräfte daranzusetzen, um endlich und endgültig mit dem weitverbreiteten Vorurteil aufzuräumen, daß die SPD in Berlin stets die stärkste Partei bleiben müsse, begründet Wolff die Zielsetzung der Union, eine große Volkspartei zu werden.

Die Philosophische Fakultät der Ost-Berliner Humboldt-Universität verleiht dem Schulreformer Prof. Paul Oestreich am Vorabend seines 80. Geburtstages die Würde eines Ehrendoktors.

Beim einzigen Gastspiel des amerikanischen Schlagersängers Johnny Ray in Deutschland kommt es im Berliner Sportpalast zu tumultartigen Ausschreitungen. Nachdem er das Publikum in einen fast ekstatischen Taumel versetzt hatte, muß er fluchtartig die Bühne verlassen, um sich vor den wildaufkreischenden, meist jugendlichen Verehrern beiderlei Geschlechts zu retten. Als ein Einsatzkommando der Polizei mit Gummiknüppeln den Saal zu räumen beginnt, setzt ein ohrenbetäubendes Gejohle und Gepfeife Tausender ein, während einige Hundert Halbwüchsige in bunten Lederjacken und Niethosen damit beginnen, mit Bierflaschen und Stuhlbeinen zu werfen und ganze Sitzreihen abzumontieren. Einige der Hauptakteure werden von der Polizei vorübergehend festgenommen.

1960

Die Ost-Berliner Blätter veröffentlichen ein Schreiben der West-Berliner Leitung der SED vom 23. März an den Regierenden Bürgermeister Brandt, in dem sie ihn einlädt, am 12. April neben dem stellv. DDR-Ministerpräsidenten Rau auf einer von ihr organisierten Großkundgebung in der Deutschlandhalle zum Thema "Was wird aus West-Berlin?" zu sprechen. Falls er sein Einverständnis dazu erteilt, dann, so heißt es, "sind wir gewiß, daß eine gleiche Veranstaltung mit Rede und Gegenrede im demokratischen Teil von Berlin möglich ist".

Auf der am Vormittag stattfindenden turnusmäßigen Senatssitzung teilt der Regierende Bürgermeister Brandt mit, daß er weder das Schreiben der SED beantworten noch ihrer Einladung Folge leisten werde.
Die Geschäftsleitung der Deutschlandhalle gibt bekannt, daß die Halle am 12. April bereits durch eine Radsportveranstaltung besetzt sei, die SED im übrigen aber bislang sich gar nicht um den Abschluß für diesenTermin eines Mietvertrages bemüht habe, sondern lediglich eine Anfrage an die Geschäftsleitung richtete, die man habe abschlägig bescheiden müssen.

Vor der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer erläutert ihr Hauptgeschäftsführer Skrodzki den Jahresbericht für 1959, der zunächst feststellt, daß die erste zu lösende Aufgabe, vor der man 1950 zu Beginn des Wiederaufbaues stand, nämlich Beseitigung der Arbeitslosigkeit, als soziales und politisches Problem heute keine Relevanz mehr besitzt. Im Gegenteil, infolge der Hochkonjunktur zeigten sich auf dem Arbeitsmarkt bereits Spannungen, soweit es sich um spezialisierte Fachkräfte handelt. Trotzdem könne man daraus nicht schließen, daß West-Berlin mit den großen Strukturwandlungen als Folge des Verlustes der Hauptstadtfunktionen endgültig fertig geworden sei.
Obwohl West-Berlin nach der Zahl der Beschäftigten in seiner Industrie zwar wieder die größte Industriestadt Deutschlands darstellt, genüge aber das industrielle Potential keineswegs, um die Lebensfähigkeit der Stadt aus eigener Kraft zu garantieren. Die Industrie müßte also so groß sein, daß sie für 2,2 Millionen Menschen, von denen ein namhafter Teil infolge der ungünstigen Altersstruktur nicht mehr im Erwerbsleben steht, nicht nur ausreichende Beschäftigung, sondern auch den westlichen Lebensstandard garantiert. Zweifellos gebe der Index der Industrieproduktion, der für den Durchschnitt des vergangenen Jahres 133 (1936 = 100) betrug, eine Vorstellung von der Problematik, wenn man ihn mit dem der westdeutschen Industrie vergleicht, der für 1959 auf 255 stieg (ohne Bergbau, Bau- und Versorgungsbetriebe).
Eine Untersuchung der Beschäftigungsstruktur in West-Berlin führe zu ähnlichen Ergebnissen. Ende September 1959 seien im Bereich der Gütererzeugung in West-Berlin rund 53 % aller Arbeitnehmer tätig gewesen, im Durchschnitt Westdeutschlands dagegen 62 %. Die Struktur der Beschäftigung in West-Berlin, das heute nur als Industriestadt lebensfähig sein könne, müsse jedoch mit den Verhältnissen in anderen Industriegebieten wie Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg verglichen werden, wo 65 bzw. 67 % der Arbeitnehmer in der Gütererzeugung tätig sind. In West-Berlin nehmen also die Dienstleistungen einen unverhältnismäßig großen Raum ein, auch unter Berücksichtigung der besonderen Lage der Stadt und der Tatsache, daß eine Millionenstadt stets verhältnismäßig viele Dienste benötige. So entspreche die Beschäftigungsstruktur West-Berlins noch weitgehend dem Bild einer Hauptstadt und spiegele ein subventioniertes Gleichgewicht wider.
Selbstverständlich müsse man berücksichtigen, daß wirtschaftliches Wachstum und Strukturwandel Zeit brauchen. Die einzelnen Wirtschaftszweige müßten aber auf längere Sicht ein anderes Gewicht erhalten. Wenn man bedenke, daß die Zahl der Beschäftigten in der Industrie von 315 000 auf etwa 400 000 steigen müßte, um den Anteil der Arbeitnehmer an der Gütererzeugung hier auf den Durchschnitt des Bundesgebietes zu bringen, so zeige sich, daß diese Aufgabe bei einer Beschäftigtenzahl von 916 000 keine Größenordnung darstelle, die von vornherein als utopisch bezeichnet werden müßte.
Skrodzki hält es für eine politische Notwendigkeit, dem Sinken der Bevölkerungszahl entgegenzuwirken - ein Ziel, was sich hauptsächlich mit wirtschaftlichen Mitteln erreichen lasse. Zwar habe bis 1958 der durch die ungünstige Alterspyramide bedingte Sterbeüberschuß durch einen kleinen Wanderungsgewinn ausgeglichen werden können, doch war im letzten Jahr erstmals ein Wanderungsverlust von 4 500 Personen zu verzeichnen. Wieweit künftige Wanderungsgewinne durch den Zuzug westdeutscher Arbeitskräfte sich erzielen ließen, könne man nicht exakt vorhersehen. Ausgeschlossen aber erscheine ihm dies nicht. Voraussetzung dafür allerdings bleibe, die Förderungsmaßnahmen für die Wirtschaft durch eine sinnvolle Bevölkerungspolitik zu ergänzen, d. h. möglichst all jene Bedingungen zu erfüllen, welche die Menschen bewegen nach Berlin überzusiedeln. Bürokratisch angewandte Bestimmungen über den Zuzug jedenfalls paßten nicht mehr in die Landschaft.

Das Schwurgericht beim Landgericht Berlin verurteilt die 29jährige Margot Schulze als "unverbesserliche Gesellschaftsfeindin" zu acht Jahren Zuchthaus und anschließender Sicherungsverwahrung. Die als "Rentnerinnenschreck" bekanntgewordene Ost-Berlinerin hatte fast fünf Jahre lang in 161 nachweisbaren Fällen alte und gebrechliche Rentnerinnen skrupellos bestohlen und sie um fast 8 000 DM geschädigt.

Der Aufsichtsrat des Berliner Zoos beschließt ab sofort die Einführung eines allgemeinen und grundsätzlichen Fütterungsverbots der Tiere durch Besucher; er folgt damit dem Beispiel vieler anderer in- und ausländischer Tierparks.
Unmittelbarer Anlaß für diese Maßnahme sind schwere Koliken bei einer afrikanischen Elefantenkuh, dem typischen Merkmal nach dem Genuß von schimmeligem Brot. Trotz zweier Operationen mußte dieses Tier am 11. April eingeschläfert werden.

1960

Die Ost-Berliner Blätter veröffentlichen ein Schreiben der West-Berliner Leitung der SED vom 23. März an den Regierenden Bürgermeister Brandt, in dem sie ihn einlädt, am 12. April neben dem stellv. DDR-Ministerpräsidenten Rau auf einer von ihr organisierten Großkundgebung in der Deutschlandhalle zum Thema "Was wird aus West-Berlin?" zu sprechen. Falls er sein Einverständnis dazu erteilt, dann, so heißt es, "sind wir gewiß, daß eine gleiche Veranstaltung mit Rede und Gegenrede im demokratischen Teil von Berlin möglich ist".

Auf der am Vormittag stattfindenden turnusmäßigen Senatssitzung teilt der Regierende Bürgermeister Brandt mit, daß er weder das Schreiben der SED beantworten noch ihrer Einladung Folge leisten werde.
Die Geschäftsleitung der Deutschlandhalle gibt bekannt, daß die Halle am 12. April bereits durch eine Radsportveranstaltung besetzt sei, die SED im übrigen aber bislang sich gar nicht um den Abschluß für diesenTermin eines Mietvertrages bemüht habe, sondern lediglich eine Anfrage an die Geschäftsleitung richtete, die man habe abschlägig bescheiden müssen.

Vor der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer erläutert ihr Hauptgeschäftsführer Skrodzki den Jahresbericht für 1959, der zunächst feststellt, daß die erste zu lösende Aufgabe, vor der man 1950 zu Beginn des Wiederaufbaues stand, nämlich Beseitigung der Arbeitslosigkeit, als soziales und politisches Problem heute keine Relevanz mehr besitzt. Im Gegenteil, infolge der Hochkonjunktur zeigten sich auf dem Arbeitsmarkt bereits Spannungen, soweit es sich um spezialisierte Fachkräfte handelt. Trotzdem könne man daraus nicht schließen, daß West-Berlin mit den großen Strukturwandlungen als Folge des Verlustes der Hauptstadtfunktionen endgültig fertig geworden sei.
Obwohl West-Berlin nach der Zahl der Beschäftigten in seiner Industrie zwar wieder die größte Industriestadt Deutschlands darstellt, genüge aber das industrielle Potential keineswegs, um die Lebensfähigkeit der Stadt aus eigener Kraft zu garantieren. Die Industrie müßte also so groß sein, daß sie für 2,2 Millionen Menschen, von denen ein namhafter Teil infolge der ungünstigen Altersstruktur nicht mehr im Erwerbsleben steht, nicht nur ausreichende Beschäftigung, sondern auch den westlichen Lebensstandard garantiert. Zweifellos gebe der Index der Industrieproduktion, der für den Durchschnitt des vergangenen Jahres 133 (1936 = 100) betrug, eine Vorstellung von der Problematik, wenn man ihn mit dem der westdeutschen Industrie vergleicht, der für 1959 auf 255 stieg (ohne Bergbau, Bau- und Versorgungsbetriebe).
Eine Untersuchung der Beschäftigungsstruktur in West-Berlin führe zu ähnlichen Ergebnissen. Ende September 1959 seien im Bereich der Gütererzeugung in West-Berlin rund 53 % aller Arbeitnehmer tätig gewesen, im Durchschnitt Westdeutschlands dagegen 62 %. Die Struktur der Beschäftigung in West-Berlin, das heute nur als Industriestadt lebensfähig sein könne, müsse jedoch mit den Verhältnissen in anderen Industriegebieten wie Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg verglichen werden, wo 65 bzw. 67 % der Arbeitnehmer in der Gütererzeugung tätig sind. In West-Berlin nehmen also die Dienstleistungen einen unverhältnismäßig großen Raum ein, auch unter Berücksichtigung der besonderen Lage der Stadt und der Tatsache, daß eine Millionenstadt stets verhältnismäßig viele Dienste benötige. So entspreche die Beschäftigungsstruktur West-Berlins noch weitgehend dem Bild einer Hauptstadt und spiegele ein subventioniertes Gleichgewicht wider.
Selbstverständlich müsse man berücksichtigen, daß wirtschaftliches Wachstum und Strukturwandel Zeit brauchen. Die einzelnen Wirtschaftszweige müßten aber auf längere Sicht ein anderes Gewicht erhalten. Wenn man bedenke, daß die Zahl der Beschäftigten in der Industrie von 315 000 auf etwa 400 000 steigen müßte, um den Anteil der Arbeitnehmer an der Gütererzeugung hier auf den Durchschnitt des Bundesgebietes zu bringen, so zeige sich, daß diese Aufgabe bei einer Beschäftigtenzahl von 916 000 keine Größenordnung darstelle, die von vornherein als utopisch bezeichnet werden müßte.
Skrodzki hält es für eine politische Notwendigkeit, dem Sinken der Bevölkerungszahl entgegenzuwirken - ein Ziel, was sich hauptsächlich mit wirtschaftlichen Mitteln erreichen lasse. Zwar habe bis 1958 der durch die ungünstige Alterspyramide bedingte Sterbeüberschuß durch einen kleinen Wanderungsgewinn ausgeglichen werden können, doch war im letzten Jahr erstmals ein Wanderungsverlust von 4 500 Personen zu verzeichnen. Wieweit künftige Wanderungsgewinne durch den Zuzug westdeutscher Arbeitskräfte sich erzielen ließen, könne man nicht exakt vorhersehen. Ausgeschlossen aber erscheine ihm dies nicht. Voraussetzung dafür allerdings bleibe, die Förderungsmaßnahmen für die Wirtschaft durch eine sinnvolle Bevölkerungspolitik zu ergänzen, d. h. möglichst all jene Bedingungen zu erfüllen, welche die Menschen bewegen nach Berlin überzusiedeln. Bürokratisch angewandte Bestimmungen über den Zuzug jedenfalls paßten nicht mehr in die Landschaft.

Das Schwurgericht beim Landgericht Berlin verurteilt die 29jährige Margot Schulze als "unverbesserliche Gesellschaftsfeindin" zu acht Jahren Zuchthaus und anschließender Sicherungsverwahrung. Die als "Rentnerinnenschreck" bekanntgewordene Ost-Berlinerin hatte fast fünf Jahre lang in 161 nachweisbaren Fällen alte und gebrechliche Rentnerinnen skrupellos bestohlen und sie um fast 8 000 DM geschädigt.

Der Aufsichtsrat des Berliner Zoos beschließt ab sofort die Einführung eines allgemeinen und grundsätzlichen Fütterungsverbots der Tiere durch Besucher; er folgt damit dem Beispiel vieler anderer in- und ausländischer Tierparks.
Unmittelbarer Anlaß für diese Maßnahme sind schwere Koliken bei einer afrikanischen Elefantenkuh, dem typischen Merkmal nach dem Genuß von schimmeligem Brot. Trotz zweier Operationen mußte dieses Tier am 11. April eingeschläfert werden.

1961

In einer Feierstunde im Senatssitzungssaal überreicht Bürgermeister Amrehn dem Alterspräsidenten des Abgeordnetenhauses und CDU-Politiker Siegmund Weltlinger aus Anlaß seines 75. Geburtstages die Ernennungsurkunde zum Stadtältesten, würdigt dessen Persönlichkeit und Verdienste, der, während der NS-Zeit verfolgt, nach dem Zusammenbruch im September 1945 Referent für jüdische Angelegenheiten im kirchlichen Beirat des Magistrats und später noch in vielerlei anderen Funktionen, u.a. als Mitbegründer der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, aktiv am Wiederaufbau mitbeteiligt war.

1962

Amtseinführung des von Bundespräsident Lübke zum Kurator der Stiftung "Preußischer Kulturbesitz" ernannten Hans-Georg Wormit in der Eichengalerie des Charlottenburger Schlosses durch den Vorsitzenden des Stiftungsrates, Staatssekretär Anders vom Bundesinnenministerium.

1963

Die Bundesregierung macht in ihrer von Botschafter Groepper in Moskau Außenminister Gromyko überreichten Antwort zum sowjetischen Protest gegen den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag (vgl. 5. Februar) deutlich, daß die Einbeziehung Berlins die Genehmigung der Alliierten Kommandantur gefunden habe und den Berlin-Status berücksichtige, den die Sowjetunion durch ihre einseitigen und rechtswidrigen Maßnahmen wiederholt und besonders durch den Mauerbau flagrant verletzt habe und weiter verletze.

Bausenator Schwedler präsentiert der Presse die Pläne für das Märkische Viertel, das bedeutendste Siedlungsprojekt der Nachkriegszeit. Danach sollen auf einem rund 370 Hektar großen, seit 1919 wild parzellierten, geschlossenen Notquartiergebiet in Wittenau-Nord unmittelbar an der Sektorengrenze im Bezirk Reinickendorf bis 1968/69 etwa 12 000 Wohnungen in ein- bis sechzehngeschossigen Gebäuden und 400 Einfamilienhäuser für annähernd 45 000 Menschen entstehen sowie die erforderlichen Versorgungseinrichtungen. Die Kosten des gesamten Vorhabens, vergleichbar nur mit der Gropiusstadt in Britz-Buckow-Rudow, schätzt die Verwaltung auf 500 Mio. DM; Bauherr ist die GeSoBau, der städtebauliche Entwurf stammt von Senatsbaudirektor Düttmann und der Berliner Architekten-Gemeinschaft Hans Müller/Georg Heinrichs.

Der DDR-Staatsratsvorsitzende Ulbricht empfängt den Präsidenten des IKRK, Leopold Boissier, zu einem Gespräch, das, so ADN, in "einer aufgeschlossenen und freundlichen Atmospäre" stattfindet.

1968

DDR-Verkehrsminister Kramer protestiert in einem Schreiben an Bausenator Schwedler gegen die "Enterung" von Schiffen des seiner Verwaltung unterstehenden Wasserstraßen-Hauptamtes im Spandauer Schiffahrtskanal, denn "seit Jahr und Tag" besäßen die "Organe der DDR die ausschließlichen Zuständigkeiten auf den Wasserstraßen in West-Berlin". Tags darauf bemerkt ein Senatssprecher, man habe diese Schiffe am 22. März abschleppen müssen, weil sie zwischen Nord- und Westhafen Bauarbeiten an den Kanalböschungen behinderten, die gemäß den gesetzlichen Bestimmungen die West-Berliner Seite auszuführen hat.

1968

Auf dem 44. Landesparteitag der Berliner CDU unter dem Motto "Berlins Zukunft sichern" in der Hochschulbrauerei im Wedding meint der stellv. Landesvorsitzende Lorenz in seinem Grundsatzreferat, auf die Dauer könne Berlin seine Funktion nur erfüllen unter Wiederherstellung der Voraussetzungen zur Wahrnehmung politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hauptstadtaufgaben. Mit Hilfe des Bundes müsse ein umfassender und großzügiger Ausgleich für die bestehenden Standortnachteile geschaffen werden. Zur Lage in der Stadt bemerkt Lorenz, die CDU sei derzeit nicht bereit, mit der SPD im Senat zu koalieren, da "wir unsere Aufgabe in Berlin und für die Demokratie" nicht begriffen, "wenn wir heute der wankenden und in sich verzankten SPD unter die Arme greifen" würden. Vielmehr wolle sie als Opposition eine enge Verbindung zum vorparlamentarischen Raum herstellen, denn seit langem habe es keine so große Anteilnahme der Jugend mehr an politischen Fragen gegeben. Mit großer Mehrheit fordert der Parteitag die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus auf, einen Gesetzentwurf mit dem Ziel der Herabsetzung des Wahlalters von 20 auf 18 Jahre einzubringen; ferner soll der Landesvorstand auf dem nächsten Bundesparteitag der CDU eine entsprechende Regelung für das gesamte Bundesgebiet beantragen.

1971

In einem zweiten Schreiben an den F.D.P. Landesvorsitzenden Hermann Oxfort teilt der SPD Landesvorsitzende und Regierende Bürgermeister Klaus Schütz mit, daß die Führungsgremien der Berliner SPD am 31. März über die Bildung des neuen Senats entscheiden wollen. (Vgl. 24. März.) Die F.D.P. wird aufgefordert, bis dahin mitzuteilen, ob sie auf der Basis der im ersten Schreiben genannten Bedingungen in die Landesregierung eintreten will.
   Der Landesausschuß der F.D.P. billigt am folgenden Tag ein Schreiben von Oxfort an Schütz, in dem Oxfort die Bereitschaft der F.D.P. zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen ohne Vorbedingungen erklärt. Ferner nimmt der Landesausschuß eine Entschließung an, in der Verhandlungen über alle Punkte der Wahlprogramme beider Parteien gefordert werden.

An seinem 85. Geburtstag wird Siegmund Weltlinger, Stadtältester von Berlin und Ehrenpräsident der Gesellschaft für christlich jüdische Zusammenarbeit, mit der Ernst Reuter Plakette in Silber ausgezeichnet. Bürgermeister und Innensenator Kurt Neubauer sowie der Präsident des Abgeordnetenhauses, Walter Sickert, überreichen ihm in einer Feierstunde im Rathaus Schöneberg die Auszeichnung. Im ersten Berliner Nachkriegsmagistrat war Weltlinger Referent für jüdische Fragen im Beirat für kirchliche Angelegenheiten. Seiner Anregung entsprang die Gründung der Arbeitsgemeinschaft der Kirchen und Religionsgesellschaften. Er gehörte zu den Begründern der Gesellschaft für christlich jüdische Zusammenarbeit und der Sektion Berlin der Liga für Menschenrechte. Auf seine Initiative wurde 1951 die seitdem alljährlich begangene Woche der Brüderlichkeit eingerichtet. Von 1957 bis 1967 gehörte Weltlinger als Mitglied der CDU Fraktion dem Abgeordnetenhaus an.

1972

Am ersten Tag der Osterbesuchsregelung (vgl. 22. Februar) schließen die fünf seit dem 13. März geöffneten Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in West-Berlin ihre Pforten. (Vgl. 13. März, 24. März.)

Der Abteilungsleiter im Außenministerium der DDR, Joachim Mitdank, und der Leiter des persönlichen Büros des Regierenden Bürgermeisters, Günter Struve, treffen in Ost-Berlin zu einem weiteren Gespräch zusammen. (Vgl. 24. März.)

1982

Während seines "Freundschaftsbesuchs" in Ost-Berlin legt der polnische Partei-, Regierungs- und Armeechef Jaruzelski Kränze nieder am Mahnmal Unter den Linden, am Denkmal des Polnischen Soldaten und des Deutschen Antifaschisten im Volkspark Friedrichshain und am sowjetischen Ehrenmal in Treptow. In mehreren Gesprächen erzielen Jaruzelski und der DDR-Partei- und Staatschef Honecker - laut einem Kommunique - "volle Übereinstimmung in allen behandelten Fragen". Beide Seiten wollen ihre Zusammenarbeit auf allen Gebieten vertiefen, vor allem im Hinblick auf die Lösung der akuten wirtschaftlichen Probleme in Polen. Honecker bekräftigt dabei die Unterstützung der DDR für die vom polnischen Militärrat seit dem 13. Dezember 1981 getroffenen Maßnahmen, wohingegen Jaruzelski versichert, sich weiterhin für die "Konsolidierung aller patriotischen Kräfte" einzusetzen, die an den Positionen des Sozialismus festhielten.

1984

Der französische Stadtkommandant, Generalleutnant Liron, verabschiedet sich nach dreieinhalb Amtsjahren vom Regierenden Bürgermeister Diepgen im Rathaus Schöneberg, wo er beim Zeremoniell der Eintragung ins Goldene Buch noch einmal die Garantien Frankreichs für die Freiheit Berlins bekräftigt.

Im Rahmen einer kleinen Feierstunde wird im Zoo gegenüber dem Gehege des Pandabären eine von Heinz Spilker geschaffene Bronzebüste für den am 6. April 1983 im Alter von 91 Jahren verstorbenen Lutz Heck enthüllt, der - in der Nachfolge seines Vaters Ludwig - von 1932 bis zum Kriegsende 1945 den Berliner Zoo zu einem der bedeutendsten der Welt gemacht hatte. Die Gedenkreden halten der Vorsitzende des Aufsichtsrates des Actienvereins, Dietrich von Grunelius, sowie Zoo-Direktor Klös.

1986

Gegen 21 Uhr erfolgt auf das Büro der Deutsch-Arabischen Gesellschaft im Hochhaus "Neues Kreuzberger Zentrum" am Kottbusser Tor/Ecke Adalbertstraße ein Bombenanschlag, der erheblichen Sachschaden anrichtet und sieben Araber verschiedener Nationalität verletzt.

1989

Der sowjetische Botschafter in der DDR, Kotschemassow, empfängt in seiner Ost-Berliner Residenz Unter den Linden den französischen Botschafter in der Bundesrepublik, Boidevaix, zu einem Gespräch über beiderseits interessierende Fragen.

1990

In Ost-Berlin fordern rund 10 000 Menschen auf einer Demonstration vom Alexanderplatz zum Sitz der DDR-Volkskammer eine sofortige Überprüfung der am 18. März gewählten Volkskammerabgeordneten auf ihre eventuelle Stasi-Vergangenheit.

1992

Die Wasserfreunde Spandau 04 gewinnen in der Schöneberger Schwimmhalle zum zwölften Mal den Deutschen Pokal im Wasserball. Im zweiten Endspiel gegen den Hohenlimburger SV (1. Partie 10:10) gibt es für die Berliner einen klaren 14:9-Sieg.

1995

In einem Wohnheim in Berlin-Marzahn werden fünf Vietnamesen, darunter zwei Frauen, von Unbekannten erschossen und zwei Männer schwer verletzt. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden vietnamesischen Banden, die den illegalen Zigarettenhandel organisieren, häufen sich.
Innensenator Dieter Heckelmann fordert am 31. Mär. angesichts der Eskalation der Gewalt unter Vietnamesen die Bundesregierung auf, "endlich eine Vereinbarung mit der vietnamesischen Regierung zu treffen, damit die sich in Berlin illegal aufhaltenden und/oder straffällig gewordenen Vietnamesen endlich ausgewiesen und in ihr Heimatland abgeschoben werden können".

2000

Das nach den Plänen des Architekten Josef Paul Kleihues errichtete Max-Liebermann-Haus am Pariser Platz wird offiziell eröffnet. Mieter in dem dreistöckigen Gebäude direkt neben dem Brandenburger Tor ist die Bankgesellschaft Berlin und deren Stiftung "Brandenburger Tor". Der Neubau soll als "Haus der Begegnung" dienen, so der Vorstandsvorsitzende der Bankgesellschaft Berlin, Wolfgang Rupf. Geplant sind hochrangige Gesprächsrunden und Konferenzen mit Politikern, Wissenschaftlern und Künstlern. Zusätzlich zu den Diskussionen wird die Stiftung "Brandenburger Tor" mindestens einmal im Jahr eine Ausstellung im Max-Liebermann-Haus zeigen.
Bis zu seinem Tod wohnte der Maler, Graphiker und Berliner Ehrenbürger Max Liebermann (1847 - 1935) in dem Haus, das 1945 völlig zerstört wurde.

2001

In Potsdam findet eine Pressekonferenz des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen und des Ministerpräsidenten von Brandenburg, Manfred Stolpe, zum Thema "Preußen 2001 - Facetten einer Epoche" statt. (Vgl. 18. Jan. 2001.) So heißt das gemeinsame Veranstaltungsprojekt der Länder Berlin und Brandenburg zur 300. Wiederkehr der Krönung des ersten preußischen Königs, an dem eine Vielzahl von Einrichtungen in beiden Ländern beteiligt sind. Neben Ausstellungen werden rund um das Jubiläumsjahr historische Spaziergänge, Vorträge, Lesungen, Fachtagungen, Konzerte, musikalisch-literarische Abende sowie Straßenfeste geboten.

2003

Mehr als 50 000 Menschen demonstrieren in Berlin für ein Ende des Krieges im Irak. (Vgl. 20. März.) Sie ziehen in zwei Demonstrationszügen zur Siegessäule. Ihre Forderungen: ein sofortiges Ende des Krieges, eine politische Lösung des Irak-Konflikts, eine Stärkung der UN und die Sperrung des deutschen Luftraums für die Krieg führenden Alliierten.

2011

Das belgische Königspaar, König Albert II. und Königin Paola, sowie der belgische Premierminister Yves Leterme werden vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit in Berlin begrüßt. Während im Rathaus ein Gespräch zwischen dem König, dem Premierminister und dem Regierenden Bürgermeister stattfindet, besucht die Königin die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin. Im Festsaal des Abgeordnetenhauses in Mitte wird das Porträt des Unternehmers und Mäzens Werner Otto für die Galerie der Ehrenbürger von Berlin feierlich enthüllt. Dabei handelt es sich um eine Videoinstallation des US-amerikanischen Künstlers Robert Wilson.

2019

In Steglitz-Zehlendorf, Ecke Unter den Eichen und Boetticherstraße, enthüllen Ralf Wieland, Präsident des Abgeordnetenhauses, Petra Rosenberg, Vorsitzende des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e. V., und Bezirksstadtrat Frank Mückisch eine historische Informationsstele. Sie erinnert an die »Rassenhygienische und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle« des Reichsgesundheitsamts, die sich hier zwischen 1936 und 1945 befand, und ihre besondere Rolle bei der Verfolgung der Sinti und Roma. Insgesamt wurden rund 500 000 Sinti und Roma Opfer der nationalsozialistischen Rassenideologie. »Diese Stele war längst überfällig«, sagt Petra Rosenberg. Ralf Wieland: »Von hier aus wurde unendliches Leid über die Sinti und Roma gebracht. Ein Leid, das uns bis heute daran erinnert, welche historische Verantwortung wir Deutschen tragen.« Und: »Sie – diese historische Verantwortung – können und sie wollen wir nicht leugnen. Auch dafür steht diese Stele.«


Zitierform: Berlin - Chronik. Online-Version : Hrsg. vom Landesarchiv Berlin. - URL: http://www.berlin-chronik.de (Stand: 29.03.2024)